Karl Dirscherl, geb. 19.1.1938, erinnert sich:

 

 

 


Am 1. September 1944 kam ich in die Schule, im Stallgebäude im Kloster. Die Knabenschule war bis 1945 Kaserne und bis 1947 Flüchtlingsunterkunft. Wir waren in der ersten Klasse 72 Buben. Fast jeden zweiten Tag war Fliegeralarm. Da habe ich meinen Schulranzen genommen und bin heimgegangen. Am 20. April war Führers Geburtstag, da war schulfrei. Ab da war keine Schule mehr bis zum 16. September 1945.

Bei uns in der Gärtnerei waren vielen Mistbeete und die waren wegen dem schlechten Wetter Anfang Mai mit Brettern abgedeckt. Am 1. Mai gab es einen fürchterlichen Krach und die Bretter sind gehüpft. Die Druckwelle von der Sprengung der Autobahnbrücke kam bis zu uns.

Im April 1945 standen nach unserer Gärtnerei in der Richtung Schweintal vier SS Männer, die alle Leute kontrolliert haben. Eine Frau, die mit einem Leichtmotorrad unterwegs waren, wurde fürchterlich fertig gemacht, weil sie das Benzin verbrauchte, das für den Endsieg gebraucht würde. Einen der SS-Männer habe ich gekannt, der kam zu drei Monate später in der Uniform der amerikanischen Arbeiter-Truppen zu uns.

Entlang der Tölzer Straße hatten die Hitlerjugend Splittergräben ausgehoben. Am 2. Mai nachmittags kamen die ersten 40 Panzer über Baum nach Miesbach. Vom Stadelberg hat die SS herunter geschossen. Die Amerikaner haben auch geschossen. Eine Granate ging durch das Schlafzimmer meiner Eltern.

Die Amerikaner waren human. Wir waren im Hausflur versammelt, da kamen drei Amerikaner herein und schauten, ob deutsche Soldaten da waren. Sie haben uns dann fünf Tafeln Schokolade geschenkt.

In den nächsten Tagen war dann Hausdurchsuchung. Wir hatten seit Juli 1942 zwei russische Zwangsarbeiter. Der jüngere war noch circa 14 Tage da. Nach ein paar Tagen kamen französische Soldaten. Der Kommandant sagte in einer Stunde ist das Haus geräumt. Das sagte der Russe: “Da wird nichts geräumt“. Er ist Kriegsgefangener und wenn der Chef nicht geschaut hätte, dass er operiert werde, dann wäre er schon gestorben. Daraufhin zogen die Franzosen wieder ab. An der Tölzer Straße beim Erlerholz links wo heute die Abzweigung zur Schweintalsiedlung ist, war ein Holzhäuschen, ca. 3 x 3 Meter, das war der Checkpoint, immer von Amerikanern besetzt.

Es lagen überall Waffen und Munition rum. Zwei Buben aus der Wies wollten an der Mangfall mit einer Panzerfaust fischen. Beide verunglückten tödlich. In Gotzing kamen drei Kinder mit einer Panzerfaust ums Leben. Auf der Waitzingerwiese wurden alle Kriegsgeräte zusammen geschleppt. Nach der Schule gingen wir dahin. Einer saß im Flakscheinwerfer und der andere drehte unten das “Karussel“ .

Bei uns in der Gärtnerei ging es hauptsächlich um Pflanzen für die Gemüsegärten. Das Wichtigste waren Tabakpflanzen. 15 Stück im Garten waren steuerfrei. Wer aber sechzehn hatte, musste alle 16 versteuern. Da kam oft überraschend die Polizei und zählte nach.

Bei uns gab es zum Frühstück um 6:00 Uhr zwei Scheiben Brot und zur Brotzeit um 9 Uhr Kartoffeln mit Salbei und Melissentee. Mit Zucker Rüben-Sirup, natürlich selbst gemacht. Kaffee, Butter und Nägel gab es nur auf dem Schwarzmarkt.

Alle Leute gingen zum Hamstern und wer irgendwo in der Holzlege Platz hatte, hielt sich einige Stallhasen. In der Schule mussten wir im Winter Holz mitbringen. Wir bekamen erst im September 1947 einen Lehrer. Der musste zwei Jahre irgendwo arbeiten, bis er entnazifiziert war. Wenn in der Schule einer einen Apfel aß, dann warteten mindestens drei Buben auf den Apfelbutzen. Die Zeit bis zur Währungsreform war entbehrungsreich.

Das sind meine Erinnerungen.

Karl Dirscherl