Mein Vater:

Georg Kraus (1904-1984)

Kriegsende in Ungarn

Bei Kriegsende am 8.5.45 war mein Vater bei einer Kavallerieeinheit am Plattensee. Der Kompaniechef sagte seinen Leuten, sie sollten sich alleine in die Heimat durchschlagen. Möglichst schnell in amerikanische Einflusszonen. Jeder dürfte sein Pferd behalten. Mein Vater hat sich mit einem Kameraden (Hans ??) zusammengetan. Sie sind dann Richtung Kärnten losgeritten. Dort war russisches Militär, so dass sie nur nachts reiten könnten und sich tagsüber im Wald versteckt haben. Es wurde immer schwieriger, Nahrung für sich und Fressen für die Pferde aufzutreiben. Manchmal wurden sie auch bei Bauern aufgenommen. Bei einer Urlaubsreise durch Kärnten (etwa1957) hat mein Vater einmal bei einem völlig heruntergekommenen Bauernhof angehalten und gefragt, ob sie sich noch an ihn erinnern könnten. Die Auskunft war: Wir haben damals so vielen weitergeholfen, wir können uns nicht erinnern. Er hat ihnen dann einen größeren Geldschein in die Hand gedrückt. Ich erinnere mich noch, dass seine Stimmung damals sehr gedrückt war, was sonst selten der Fall war. Irgendwo in Österreich mussten sie dann die Pferde aufgeben und sich zu Fuß weiter durchschlagen.

Zurück in der Heimat

Jedenfalls ist mein Vater dann nach langer Wanderung im Oberland angekommen. Dort wurde er aber von den Amerikanern geschnappt und einem Transport zu einem Gefangenenlager (ich glaube, nach Bad Tölz) übergeben. Er hat herausgebracht, dass dieser Transport, bestehend aus einer Reihe von Lastwagen, durch Miesbach gehen würde. Über den Haindlberg hinunter, dann an der damaligen Stadtapotheke vorbei zum Tölzer Berg. Die Umgehungsstraße gab es damals noch nicht. Er hat dann den Fahrer seines Lastwagens – gegen Zigaretten – dazu gebracht, genau an der Straßenecke der damaligen Alten Stadt-Apotheke (heute: „Platzerl“), gegenüber der Kirche, zu halten. Von da weg konnte er in die hintere Haustür der Apotheke schlüpfen. Die vorausfahrenden Wägen waren schon beim Eichermüller um die Kurve und konnten ihn nicht mehr sehen, die nachfahrenden wegen der Kurve sowieso nicht. So kam er Zuhause an.

Große Freude dort, aber auch Traurigkeit, denn er musste sich später doch stellen und kam für einige Wochen ins Lager nach Aibling, da nur entnazifizierte Soldaten Lebensmittelkarten bekommen konnten. Aber auf diese Weise ist er den schlimmsten Zeiten im Lager entgangen (Mai bis Juli 1945). Zum Lager Bad Aibling folgen einige Zitate aus: Gottfried Mayr: „Das Kriegsgefangenenlager Bad Aibling 1945 – 46, PWE No. 26“ Hrg. Historischer Verein Bad Aibling und Umgebung ). Bilder dazu : National Archives, USA.

Lager Bad Aibling

Nach Kriegsende bot sich am Rand von Bad Aibling ein Bild des Elends. Rund 800.000 deutsche Soldaten aus dem ganzen Reichsgebiet waren in einem Zeitraum von nur 14 Monaten in Bad Aibling gefangen. Die Amerikaner hatten bei Kriegsende ein provisorisches Gefangenenlager aufgebaut, in ganz Süddeutschland wurden Wehrmachtssoldaten eingefangen und nach Bad Aibling gebracht.

Im Freien – ohne Essen

Das Lager Bad Aibling nach dem Krieg.

Aus Österreich und Italien kamen ebenfalls Zehntausende in Zügen, zu Fuß oder in Lastwagen. Bald standen rund 50.000 Menschen auf dem Rollfeld des ehemaligen Flughafens von Bad Aibling im Regen und Schnee. Maria Pichler aus Fischbachau war damals 22 Jahre alt und erinnert sich:

„Es hat drei Tage und Nächte geregnet. Weil sie so nass waren, sind sie Tag und Nacht aneinander gelehnt, sonst hätten sie das nicht überstanden. Eine ganze Woche sind die Soldaten draußen gestanden im Schnee und im Dreck, ohne Essen.“                               Maria Pichler

Mit so vielen Gefangenen hatten die amerikanischen Truppen nicht gerechnet. In den ersten fünf Tagen gab es keine Verpflegung: Einige Gefangene kauten Gras oder Kistenbretter. Die Einheimischen versuchten den ausgemergelten Männern in den Käfigen Brot, Äpfel oder Briefe über den Zaun ins Lager werfen. Allerdings durften die Leute nur bis maximal 30 Meter an den Zaun heran.

Ein Soldat unterschreibt in Bad Aibling seinen Entlassungsschein.

Die Gefangenen wurden eingeteilt in Käfige, so genannte „cages“ mit jeweils 4.000 bis 5.000 Mann. Obwohl die Amerikaner die Gefangenen kaum verpflegen konnten, gründeten sie einen Lagerchor und richteten sogar einen Lagerrundfunk ein.

Erst durchleuchtet – dann entlassen

Jeder, der einen Entlassungsschein wollte, wurde dem „screening“ unterzogen, also auf seine politische Vergangenheit hin durchleuchtet: Auch Krankenschwestern aus den Lazaretten oder Wehrmachtshelferinnen, wie Maria Pichler aus Fischbachau, kamen ins Lager Aibling, um einen Entlassungsschein zu bekommen. Am 21. September 1946 wird in Bad Aibling der letzte Entlassungsschein aus der Wehrmacht unterschrieben. Später übernahm der amerikanische Geheimdienst das Areal und baute eine der größten militärischen Abhörstationen der Welt.

Leider habe ich bei der ersten Veröffentlichung dieses Berichts durch Unachtsamkeit  unterlassen, folgende Quelle zum Kriegsgefangenenlager in Bad Aibling zu nennen:
Estner, Andreas, „Kriegsende im Leitzachtal“, Talgeschichte(n) in „Der Leitzachtaler“, Fischbachau, 2015 
Die Grußmutter von Herrn Estner war die im Bericht zitierte Maria Pichler.
Hermann Kraus

Meine Mutter:

Rosina Kraus (1911-2008)

Im Frühjahr 1945 war meine Mutter immer noch beim Ernährungsamt beschäftigt. Sie hat mit einer Kollegin zusammen in der Randl-Villa am Kreuzberg gewohnt.

Am 2. Mai kamen die Amerikaner von Bad Tölz her mit Panzern. Einige Tage vorher ist die Sprengung der Schlierachbrücke (Johannisbrücke), die die SS vorgehabt hatte, durch Miesbacher Bürger verhindert worden.

Der damalige Miesbacher Bürgermeister Carl Feichtner ist den Amerikanern mit der weißen Fahne bei Schweintal entgegen gezogen. Miesbach konnte kampflos übergeben werden, auch wenn es in der Umgegend, in Neukirchen und am Stadelberg noch kleinere Schießereien gab.

Der Einmarsch wurde von der Bevölkerung voller Angst beobachtet, denn man wusste, dass Soldaten sich viel erlauben konnten.

Schwarze“

Meine Mutter hat gesagt, es sei nur selten zu Übergriffen gekommen und von Vergewaltigungen wäre nicht viel bekannt gewesen. Die Amerikaner (darunter viele Schwarze) haben die schöne Villa am Kreuzberg natürlich gleich besetzt und meine Mutter musste viele Uniformen und Kampfanzüge waschen. Nebenan hat damals eine junge Nachbarin mit guten Englischkenntnissen gewohnt. Diese Frau wurde damals schon bald eine Art Majordomus der Amerikaner.